Mercedes Benz SLS AMG by Corentin Foucaut, licensed under CC2.0 Source: https://www.flickr.com/photos/corentinfoucaut/8678460310 No changes were made to the original picture.

Ukrainische Flüchtlinge und die protzigen Karren

Seit dem Frühjahr 2022 tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Millionen Menschen mussten seitdem ihre Heimat verlassen und in verschiedene europäische Länder fliehen. Und spätestens seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 ist das Wort „Flüchtling“ so kontrovers, dass leicht abzusehen war, dass auch ukrainische Geflüchtete bald einen Stempel aufgedrückt bekommen würden und nach einiger Entwicklungszeit fand man schließlich ein Stigma, auf welches man die Ukrainer*innen festnageln konnte.

Dicke Karren. Die Ukrainer*innen fahren dicke Karren und daraus kann man sich einige „Implikationen“ über die Geflüchteten spinnen. Vor Kurzem sind wir auf ein Sharepic aufmerksam geworden, das in diversen sozialen Medien die Runde macht und genau dieses Thema aufgreift und möchten die konkreten Aussagen darin nun genauer unter die Lupe nehmen.

Das Bild

Zunächst sehen wir ganz oben eine Schlagzeile, die wohl aus einer Zeitung stammt: „Praktisch nicht durchführbar – Ukrainer dürfen Autos trotz Sozialhilfe behalten“. Hinter der Überschrift ist ein protziger Sportwagen abgebildet, ein Mercedes AMG GT. Darunter folgen zwei weitere hochpreisige Autos, ein Porsche Cayenne und eine Mercedes G-Klasse. Schön! Unter den Autos steht daraufhin geschrieben: „Man kann ja über die Ukrainer denken, wie man will. Aber einen guten Geschmack bei Autos haben sie. Bitte spendet weiter“ und ganz unten noch „Flüchtlinge“ in Anführungszeichen.

Zuerst die Schlagzeile. Sie stammt aus der Schweizer Boulevardzeitung „Blick“. Eine Zeitung, die schon oft wegen grober Recherchefehler, manipulierter und teilweise frei erfundener Fakten in der Kritik stand. Der Artikel selbst ist typische Boulevard-Schreibe, die eben erwähnte reißerische Überschrift und der Artikel haben einen leicht vorverurteilenden Ton, aber nichts allzu Untypisches für diese Zeitungsgattung. Zu dem Artikel gehören auch 3 Fotos von Autos, von denen uns eines sehr bekannt vorkommt. Es handelt sich um den orangefarbenen Mercedes AMG GT aus unserem ursprünglichen Sharepic! Bei den anderen beiden Bildern handelt es sich jedoch nicht um die anderen hochpreisigen Luxuskarossen, sondern um einen Nissan Juke und einen BMW X1 mit ukrainischem Kennzeichen, zwei deutlich erschwinglichere Mittelklassewagen, Unvorteilhaft für den beabsichtigten Frame des Sharepics! Spätestens hier sollte man stutzig werden. Es sieht so aus, als ob der Ersteller des Sharepics uns hier offensichtlich Informationen vorenthalten hat, um ein bestimmtes Narrativ hochzuziehen (wer hätte das gedacht)! Wenn man den Artikel genauer liest, findet man eine weitere fehlende Subtilität. Es geht darum, dass ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz in der Regel ihr Auto verkaufen müssen, bevor sie Sozialhilfe erhalten. Neben der Erläuterung der rechtlichen Hürden für den Verkauf findet sich nun am Ende des Artikels ein weiteres interessantes Detail. Viele der ukrainischen Autos können gar nicht zwangsverkauft werden, da die Autos oft geleast sind und somit eigentlich noch dem Autohändler gehören oder überhaupt nicht genug Wert haben, um verkauft werden zu können. Ebenfalls alles sehr ungünstige Details, wenn man ein generalisierendes Bild von dekadenten, vermögenden Flüchtlingen zeichnen will, die unsere Hilfe gar nicht verdienen würden. Die Quellen der beiden anderen Bilder von hochpreisigen fahrbaren Unterlegern sind auch nach akribischer Suche nicht auffindbar. Ohne Quellenangabe im Sharepic könnten diese Autos also genauso gut noch letzte Woche direkt in Kiew aufgenommen worden sein und selbst wenn sie in etwa in Österreich aufgenommen wurden, sagt das nichts über den preislichen Aufwand zum Erwerb der Autos aus, durch diverse attraktive Leasingverträge ist es ja teilweise auch für Mittelständler relativ einfach möglich, an einen Mercedes AMG zu kommen. Eine tatsächliche Auflistung von Autos mit ukrainischen Kennzeichen und Automodellen in Österreich ist zudem nirgends auffindbar und laut der Politologin Natascha Stobl vom Moment Magazin ist es auch „unwahrscheinlich“, dass ukrainische Flüchtlinge überwiegend mit Luxusautos unterwegs sind.

Schas? Ka Schas? Was soll man daraus nun machen?

Die Beurteilung, ob es sich bei diesem Sharepic um einen Schas oder kan Schas handelt, ist etwas komplexer als üblich. Das Bild selbst bezieht sich teilweise auf eine reale „Quelle“, sofern ein Boulevardartikel als solche ausreicht. Die Informationen werden sehr selektiv präsentiert, was unehrlich und manipulativ ist, aber nicht unbedingt falsch. Das Framing, die Botschaft des Bildes, ist schwer objektiv zu bewerten, es handelt sich eher um eine moralische Frage. Verdienen ukrainische Flüchtlinge unsere Hilfe, auch wenn sie ein teures Auto fahren? Das muss jeder für sich selbst beurteilen, meine Meinung dazu ist eindeutig: Natürlich. Ein Flüchtling kann von mir aus auch einen Lamborghini Gallardo mit Vollausstattung inklusive beheizbaren Ledersitzen und Chromfelgen fahren, wenn sein Haus nicht mehr steht und seine Stadt besetzt ist, wenn er sich in seinem eigenen Land nicht mehr sicher fühlen kann, es gibt genug Berichte über den Umgang der russischen Armee mit der Zivilbevölkerung, dann hat ein Flüchtling ein international gültiges Recht darauf, an einem sicheren Ort untergebracht zu werden, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Ethnie oder auch seinem Einkommen. Zusammenfassend kann man also sagen, dass das Bild an sich ein irreführender Schas ist, aber die Botschaft hinter dem Bild ist aus meiner Sicht ein absoluter Schas.