Darf die Polizei Dortmund keine Migranten mehr kontrollieren?
Sie wurden angewiesen, möglichst wenige Migranten zu kontrollieren – und stattdessen gezwungen, mit Kriminellen Kaffee zu trinken: Das behaupten Polizisten aus dem Dortmunder Brennpunkt-Bezirk Nordstadt. Insbesondere in rechten Kreisen sorgten diese Schilderungen in den letzten Wochen für Empörung. Kann das tatsächlich stimmen?
Die Behauptungen
In anonymen Aussagen schildern die Polizisten aus der „Wache Nord“ Missstände in ihrem Einsatzgebiet und innerhalb der Dienststelle. Aus dem Präsidium sei ihnen vorgeschrieben worden, „möglichst wenige Migranten“ zu kontrollieren. So wäre ihnen etwa die Festnahme des per Haftbefehl gesuchten Organisators einer Demonstration gegen Polizeigewalt in der Nordstadt verboten worden. Außerdem würden Begegnungsfeste veranstaltet, bei denen die Beamten gezwungen werden, mit Straftätern Kaffee zu trinken. Auch seien ihnen rechtsradikale Tendenzen unterstellt, einige Kollegen sogar durchsucht worden. Grund für diese Maßnahmen, so vermuten die Beamten der Wache Nord, sei der Fall Mouhamed D.
Der Fall Mouhamed D.
Gemeint ist die Tötung des 16-jährigen Mouhamed Dramé im vergangenen August. Der Jugendliche war nach seiner Flucht aus dem Senegal in einer Jugendhilfe-Einrichtung in der Nordstadt untergebracht und soll aufgrund seiner Fluchterfahrungen eine psychische Krise durchlebt haben. Am 8. August 2022 soll er – in der Absicht, Suizid zu begehen – ein Messer gegen sich selbst gerichtet haben, woraufhin seine Betreuungspersonen die Polizei riefen. Mouhamed soll zuerst nicht auf die Beamten reagiert haben, dann aber aufgestanden und auf sie zugekommen sein. Die Polizisten setzten daraufhin Pfefferspray, Taser und schließlich eine Maschinenpistole gegen ihn ein. Mouhamed Dramé starb durch mehrere Schüsse auf Kopf und Oberkörper.
Seit diesem nachweislich unverhältnismäßigen Einsatz von Polizeigewalt steht die Wache Nord massiv in Kritik. Nichtsdestotrotz sehen bestimmte Seiten die Polizei als Opfer in diesem Fall – etwa die Bild-Zeitung, aus deren Artikel die Zitate ursprünglich stammen, aber auch die „Junge Freiheit“, die diese ungeprüft übernommen hat. Die politische Linie dieses Mediums nehmen wir später unter die Lupe, zuerst widmen wir uns der Wahrheit hinter den konkreten Aussagen der Beamten.
Was ist Fakt, was ist Fake?
Fakt ist zunächst: die Dortmunder Nordstadt gilt tatsächlich als sozialer Brennpunkt, an dem offen sichtbare Kriminalität stattfindet – das zeigen unter anderem Beschwerden vonseiten der Anwohner. Fakt ist auch, dass 57% der Bevölkerung in der Nordstadt keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Dass dort aber „fast nur noch Migranten“ leben, wie einer der Beamten behauptet, stimmt demnach nicht.
Auch die angebliche Anweisung aus dem Präsidium, dass man weniger Migranten kontrollieren solle, hat es nicht gegeben. Gregor Lange, Präsident der Polizei Dortmund, stellt in einem Interview klar: „Ich erwarte, dass wir in allen Bereichen, wo Kriminalität ist, konsequent mit unseren Maßnahmen arbeiten und dabei keinen Unterschied machen, wo jemand herkommt, welche Hautfarbe er hat, welcher Religion er angehört.“ Eindeutig falsch ist auch die Behauptung, die Polizisten seien zum Kaffeetrinken mit Kriminellen gezwungen worden: Bei dem genannten Begegnungsfest handelte es sich um eine offizielle Veranstaltung der Dienststelle, um ein zwangloses Zusammenkommen von Beamten und Bürgern.
Zwei der Aussagen bleiben ungeprüft: Zu dem angeblichen Verhaftungsverbot für einen polizeilich gesuchten Demo-Organisator gibt es keinerlei Informationen. Auch ob die Polizisten tatsächlich durchsucht worden sind, kann nicht nachvollzogen werden. Da die Schilderungen anonym gemacht wurden, konnte keine Nachfrage gestellt werden. Eine Anfrage bei der Polizei Dortmund bleibt bisher unbeantwortet.
Die „Junge Freiheit“ und die Neue Rechte
Unter der Schlagzeile „Dortmunder Polizisten: Durften keine Migranten kontrollieren“ publiziert die „Junge Freiheit – Wochenzeitung für Debatte“ Ende Mai die anonymen Vorwürfe der Wache Nord. Gründer und Chefredakteur des Blattes ist Dieter Stein, der offen der politischen Strömung „Neue Rechte“ angehört und immer wieder in Verbindung mit der rechtspopulistischen AfD gebracht wird. Auch die Autorin des Artikels, Zita Tipold, folgt dieser Linie: So vergleicht sie auf Twitter etwa Drag Queens mit Satan oder bewundert die Politik von Orbán und Meloni.
Die „Junge Freiheit“ fällt also eindeutig in das politische Spektrum der Neuen Rechten. Besser bekannt als Identitäre Bewegung, steht im Zentrum dieser Strömung die Ideologie des Ethnopluralismus. Dahinter steckt die Vorstellung von der kulturellen und ethnischen Homogenität, von der „Reinhaltung“ des Staates und der Ablehnung alles „Volksfremden“. Konkret heißt das: anstatt von „Rassen“ gibt es verschiedene „Ethnien“, die ausschließlich dort zu bleiben haben, wo sie herkommen. Oft werden auch westeuropäische „Ethnien“ als überlegen angesehen. Die Neue Rechte will sich von der traditionellen politischen Rechten und deren Bezügen zum Nationalsozialismus und Rassismus abgrenzen. Schaut man allerdings genau hin, wird deutlich: Das Prinzip ist dasselbe, nur mit einem anderen Wording.
Die politischen Ansichten ihres Personals weisen also bereits deutlich auf die Agenda der „Jungen Freiheit“ hin. Erwähnenswert ist auch, dass die Zeitung – wie sie es in ihrem Impressum angibt – der „traditionellen deutschen Rechtschreibung“ aus der Zeit vor der Rechtschreibreform folgt. Das kann durchaus als ein weiteres Anzeichen für eine rückständige Denkweise interpretiert werden.
Fazit
Einige Aussagen der Polizisten können mit Sicherheit widerlegt werden, bei einzelnen bleibt der Wahrheitsgehalt unklar. In Bezug auf den Artikel der „Jungen Freiheit“ kann jedenfalls festgehalten werden, dass die Informationen darin weder objektiv noch nachgeprüft sind. Die politische Agenda der Zeitung weist darauf hin, dass mit dem Text Fremdenfeindlichkeit geschürt werden sollte. Die Behauptung, die „Wache Nord“ dürfe keine Migranten kontrollieren, hat sich eindeutig als falsch herausgestellt.
Beitragsbild:
„Polizeiwache Körne“ by Joehawkins, CC BY-SA 4.0
„Festnahme und Fesselung eines Blockierers durch die Polizei“ by Stefan Müller, CC BY 2.0
„Füttern verboten-Schild Trogen 20201011 DSC4954“ by PantheraLeo1359531, CC BY 4.0